Die Gier ist für den Ökonomen Tomáš Sedláček auf der einen Seite der Motor des Fortschritts, auf der anderen Seite aber die Ursache des Absturzes der Wirtschaft. Schon in den ältesten Geschichten der Menschheit wird davon erzählt, dass die Gier stets diesen Januskopf besitzt. Tomáš Sedláček erklärt: „Ständig unzufrieden zu sein, mehr zu begehren, scheint ein angeborenes Naturphänomen zu sein und das Herz unserer Zivilisation zu bilden. Die Ursünde des ersten Menschenpaares im Garten Eden war die Folge von Gier.“ In seinem Bestseller „Die Ökonomie von Gut und Böse“ legt der tschechische Wirtschaftswissenschaftler Tomáš Sedláček die Verwurzelung der Wirtschaft in der Kulturgeschichte der Menschheit frei.
Der Mensch definiert sich durch seine existentielle Unzufriedenheit
Begehren und Neugier sind für Tomáš Sedláček die Schwestern der Gier. Die erste Sünde der Menschheit hat seiner Meinung nach den Charakter eines übermäßigen, überflüssigen Konsums, der nicht sexueller Natur ist. Der Ökonom erläutert: „In Eva erwacht ein Begehren nach etwas, das sie nicht braucht. Die Lebensbedingungen im Paradies waren vollkommen, und dennoch war alles, was Gott den beiden gegeben hatte, nicht genug. Insofern steht die Gier nicht nur an der Wiege der theoretischen Ökonomie, sondern auch am Beginn unserer Geschichte. Gier ist der Anfang von allem.“
Die menschliche Gattung definiert sich laut Tomáš Sedláček durch ihre existentielle Unzufriedenheit, da ihr Sättigungspunkt nie erreicht wird, genauso wenig wie das Ende der Geschichte. Der Konsum funktioniert seiner Meinung nach wie eine Droge, bei der das Genug immer hinter dem Horizont liegt. Deshalb ist die Gleichgewichtswirtschaft auch zum Scheitern verurteilt. Tomáš Sedláček behauptet: „Evas Begehren, ökonomisch gesprochen ihre Nachfrage, wird nie versiegen. Und Adams Angebot, die Arbeit im Schweiße seines Angesichts, wird nie ausreichen.“
Der Unterschied zwischen dem hedonistischen und dem stoischen Programm
Viele Menschen gehen gemäß Tomáš Sedláček zu einer Arbeit, die sie im Grunde hassen, damit sie überflüssige Dinge kaufen können, die sie eigentlich nicht brauchen. Tomáš Sedláček ergänzt: „Das ist die Vertreibung aus dem Paradies, in die Gegenwart der Moderne übertragen.“ Fortschritt oder Zufriedenheit, das ist für Tomáš Sedláček das anthropologische Dilemma der menschlichen Existenz. Seiner Meinung nach scheint es zwei Möglichkeiten zu geben, die Unversöhnlichkeit zwischen Verlangen und Befriedigung, Nachfrage und Angebot zu versöhnen.
Erstens kann man das Angebot der Waren und die Kaufkraft, sie zu erwerben, vergrößern. Das ist für Tomáš Sedláček ein hedonistisches Programm, für das sich die Menschen seit den Griechen und Römern entschieden haben, das aber in der Schuldenkrise zu zerbrechen droht. Die Monetarisierung der Gesellschaft hat die Illusion verstärkt, dass alle Dinge, die sich der Mensch wünscht, in seiner Reichweite liegen. Das entgegengesetzte Programm, das von den antiken Stoikern stammt, besteht aus Sparen und Maßhalten. Die Nachfrage soll dabei so verringert werden, dass sie dem Angebot entspricht.
Von Hans Klumbies