Der Historiker David S. Landes war fest davon überzeugt, dass man sich mit China beschäftigen muss, wenn man die Geschichte der Weltwirtschaft verstehen will. Denn von Christi Geburt bis zum Beginn der Neuzeit schrieb das Land eine ökonomische Erfolgsgeschichte. Vor allem als geniale Erfinder taten sich die Chinesen hervor – sie entwickelten unter anderen das Schwarzpulver, das Papier, den Kompass und den Seismographen. Aber auch beim Brückenbau und der Errichtung von Straßen und Dämmen war China weltweit führend. Zudem beherrschten sie moderne Techniken der Bewässerung und die Konstruktion von Kanalsystemen. Noch 1820 wurden rund 30 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet. Westeuropa kam auf etwa 20 Prozent, die USA nicht einmal auf zwei Prozent.
China isoliert sich vom Rest der Welt
Die Führung in der Weltwirtschaft verlor China durch einen fatalen Strategiewechsel im 15. Jahrhundert. China schottete sich von der übrigen Welt ab und machte seine Grenzen dicht. Die Chinesen waren sich ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit total sicher. Sie glaubten vom Handel mit dem rückständig eingestuften Westen nicht profitieren zu können. Außerdem hatten sie Angst, ihre politische, ökonomische und gesellschaftliche Unabhängigkeit zu verlieren. Noch Ende des 18. Jahrhunderts begrenzten strenge staatliche Kontrollen den privaten Handel mit dem Westen.
Einzig der Hafen von Kanton war für einen minimalen Warenaustausch mit Europa geöffnet geblieben. Chinas Wirtschaft war ein in sich geschlossenes System. In seiner selbstgewählten Isolation, verschliefen die Chinesen die industrielle Revolution, die in Großbritannien im 18. Jahrhundert ihren Ursprung hatte und für eine Zweiteilung der Welt sorgte. Die Nationen, die auf die Industrie setzen, häuften riesigen Reichtum an, die anderen blieben in Armut stecken. Die Briten setzten im Gegensatz zu den Chinesen auf den industriellen Fortschritt.
Das Ungleichgewicht der Handelsströme zwischen China und Europa
Großbritanniens Aufstieg zur Weltmacht war von der Suche nach neuen Rohstoffmärkten und Absatzgebieten begleitet. Im Verlauf dieses Prozesses annektierte die britische Nation Schritt für Schritt auch Südostasien. Um sich vor der starken Industrie in Großbritannien zu schützen, schottete sich China noch mehr ab, wodurch die chinesische Wirtschaft noch weiter geschwächt wurde. Auch heute hat die These noch Gültigkeit, dass Protektionismus keine Probleme löst, sondern bestehende nur verschärft.
Es entstand damals ein Ungleichgewicht zwischen den Handelsströmen. Die Importe nach China waren gering, die Exporte nach Europa hoch. Der Westen verlor dadurch ernorme Mengen an Silbermünzen an China, um das Handelsdefizit zu finanzieren. Da die Briten die Erosion ihrer Kaufkraft fürchteten, suchten sie nach einem geeigneten Exportgut für China und stießen dabei auf Opium. Innerhalb weniger Jahre zwischen 1820 und 1840 explodierte das Volumen der chinesischen Opiumexporte, obwohl das Rauschgift strengstens verboten war und den Händlern drastische Strafen drohten.
Der Opiumkrieg endet mit einer vernichtenden Niederlage Chinas
Das Ungleichgewicht änderte seine Richtung. Nun kaufte China mehr Güter im Ausland – vor allem Opium – als es seinerseits Waren in den Westen verkaufte. Den Importüberschuss finanzierten die Chinesen mit dem Verkauf von Silber. Um die Einfuhr von Opium wirkungsvoller zu kontrollieren, wurde der Hafen von Kanton geschlossen. Das war für Großbritannien ein willkommener Anlass um einen Krieg gegen China zu beginnen, den so genannten Opiumkrieg.
Doch in Wirklichkeit war die kriegerische Auseinandersetzung zwischen China und Großbritannien ein allgemeiner Handelskrieg, der sich aus lange andauernden Ungleichgewichten der Handelsströme ergab, an dessen Fortbestand weder die Chinesen noch die Briten Interesse hatten. Die Armee Großbritanniens war den chinesischen Streitkräften um Welten überlegen. China erlitt im Opiumkrieg eine vernichtende Niederlage. Die Briten erzwangen eine radikale Öffnung des chinesischen Marktes und brachten sich in den Besitz der Kronkolonie Hongkong.
Von Hans Klumbies